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Wie Schülerinnen & Schüler mit Smartphones, Tablets & Co. informell Englisch lernen (Pre Print)
Uhl, J. (im Druck): Let‘s play, Let‘s learn! Wie Schülerinnen und Schüler informell mit Smartphones, Tablets & Co. Englisch lernen. In J. Bündgens-Kosten, & P. Schildhauer (Hrsg.), Englischunterricht in einer digitalisierten Gesellschaft. Weinheim und München: Beltz-Juventa.
Wenn morgens an deutschen Schulen „Good morning, boys and girls!“ erklingt und der Englischunterricht beginnt, mag das für viele Schüler*innen an diesem Tag nicht die erste Begegnung mit der Fremdsprache sein – denn dass diese zumindest schon einmal kurz ihr Smartphone eingeschaltet haben, um beispielsweise ihren Instagram-Feed zu checken oder nachzusehen, ob YouTuber XY irgendwelche News hat verlauten lassen, die sie mit ihren Klassenkamerad*innen direkt besprechen müssen, ist ebenso wahrscheinlich wie der Umstand, dass ihnen diese Inhalte auf Englisch präsentiert werden. Informelle Sprachlernbegegnungen mit der Fremdsprache sind z. T. fest im mediendurchdrungenen Alltag von Kindern und Jugendlichen verankert, nicht nur aufgrund der Stellung der Lingua Franca, sondern zusätzlich wegen ihres global hoch frequentierten Auftretens in den Bereichen Medien und Technologie. Bei welchen Gelegenheiten diese besonders häufig vorkommen, wie und was junge User*innen dabei lernen und welche Impulse für den formalen Bildungskontext von diesen Erkenntnissen ausgehen, möchte ich in diesem Beitrag, der die relevantesten Ergebnisse meiner Dissertationsforschung (Uhl 2020) zusammenfasst, vorstellt. Zuvor werden jedoch zunächst exemplarisch einige der vielfältigen Potenziale mobiler Technologien für informelles Fremdsprachenlernen aufgezeigt.
1. Mobile Language Learning: Mobile Technologien als Ressourcen für Fremdspracherwerb (FSE) und Fremdsprachenlernen (FSL)
Englisch als Fremdsprache, die häufig gar nicht mehr so fremd ist, zu lernen ist spätestens, seitdem unsere Schüler*innen die kleinen multimedialen Alleskönner namens Smartphones in ihren Hosentaschen mit sich führen – und dies tun sie so gut wie alle – kein Monopol schulischer Bildung mehr. In ihrer Medienkonvergenz mit dem World Wide Web bieten diese besonders für informelles Lernen vielfältige Potenziale, sei es nun, wenn sie sie intentional dafür einsetzen, ihre Kompetenzen in der Fremdsprache zu schulen, oder wenn sie bei der freizeitorientierten Mediennutzung, z. B. beim Gaming, beim Streaming von Serien oder dem Lesen von Instagram-Stories, ganz nebenbei und völlig ohne Intention inzidentell oder implizit lernen.
1.1 Authentische Sprachlernerfahrungen in virtuellen Räumen
Durch ihre multimedialen, interaktiven und vernetzten Eigenschaften eröffnen mobile Technologien ihren Nutzer*innen virtuelle, die „Realität“ erweiternde Räume für individuelle, selbstgesteuerte und soziale Sprachlernerfahrungen, die aus spracherwerbstheoretischer Perspektive in vielerlei Hinsicht als ideale Umgebungen – sowohl für Spracherwerb, als auch zum Lernen (vgl. hierzu Krashen 1982) – betrachtet werden können: Dort treffen diese zum einen auf eine ungeheuer dichte Auswahl an authentischem Sprachinput aus gleichermaßen authentischen Medien, wobei ihnen zugleich unterschiedliche Tools zur Interaktion mit diesem zur Verfügung stehen. Zum anderen schaffen die vernetzten Strukturen der Technologien einen globalen sozialen Kontext, in dem User*innen miteinander interagieren, kommunizieren, kooperieren und kollaborieren.
Derart beschaffene Lernumgebungen bieten optimale Voraussetzungen für FSE, für welchen besonders der Sprach-Input entscheidend ist (vgl. Bahrani/Tam/Nekoueizadehet 2014, S. 1714), den Lerner*innen in informellen Settings vorwiegend aus dem Konsum authentischer Medien sowie der Interaktion mit anderen in der Zielsprache beziehen. Bereits aufgrund der jeweils zugrundeliegenden, interessen- oder bedürfnisgesteuerten Intention der unterschiedlichen Aktivitäten der freizeitorientierten Mediennutzung ist authentischer Input, wie Kinder und Jugendliche ihm v. a. in den Bereichen Unterhaltung, Kommunikation und Information begegnen, optimaler Input: Sie browsen das Web oder Social Media und lesen, was sie interessiert, spielen – oft mit oder gegen Peers bzw. in einer globalen Community – Games und streamen Serien, die sie fesseln und deren nächste Folge sie kaum erwarten können, anzusehen.
Neben solchen eher rezeptiven Aktivitäten, die die Schüler*innen bei ihrer Mediennutzung ausüben und bei denen Fremdspracherwerb im Zusammen-hang mit dem Konsum authentischen Inputs stattfindet, finden sich – allerdings (noch) deutlich weniger häufig – auch solche, bei denen diese ihre rein konsumierende Haltung zugunsten einer neuen, erst durch mobile vernetzte Medien entstandenen Rolle verlassen: Deren mediale und soziale Strukturen sowie die zahlreichen, durch sie gegebenen Möglichkeiten, weiter mit Inhalten und anderen Nutzer*innen zu interagieren, lassen User*innen zu sogenannten „Produsern“ (Seipold 2012, S. 190) oder auch „Prosumer*innen“ werden. Interaktion mit und über vernetzte Medien, bspw. in Sozialen Netzwerken, zeichnet sich aus durch Offenheit, was u. a. Wege der Auswahl, Partizipation und Selbststeuerung. Teilt man z. B. einen Social-Media-Post, den man zwar nicht selbst verfasst, aber mit einem Kommentar oder Link versehen hat, mit dem eigenen Netzwerk oder führt ihn mit weiteren Inhalten zusammen, z. B. in einem Blog, entsteht nicht nur „neuer“, sogenannter User-generated Content: Die „nutzergenerierte[…] Produktion von Inhalten“ (ebd., S. 188) erschafft zugleich erweiterte oder gar neue, individuell und subjektiv hergestellte Kontexte, User-generated Contexts (vgl. ebd., S. 188ff.). Vor dem Hintergrund eines Verständnisses von Lernen als Aneignung lassen diese sich als Learner-generated Contexts begreifen, die Lerner*innen in ihrem individuellen Prozess des Meaning Making erschaffen, wenn sie situiert selbst Bedeutung herstellen (vgl. ebd., S. 179). Zudem haben mobile Technologien wie Smartphones ihre Nutzer*innen auch dazu „emanzipiert“, selbst zu Produzent*innen von Medien und darüber transportierte Sprache zu werden. Zahllose, oft kostenlose Apps, liefern nun Möglichkeiten, wie sie sonst nur professionelle Mediengestalter mit entsprechender Hard- und Software sowie Nutzungskompetenz zur Verfügung hatten. Wenn Schüler*innen bspw. Tik-Tok, Snapchat- und Instagram-Videos in der englischen Sprache produzieren, ob nun imitierend oder selbst kreierend, sind dabei oft implizite Lernprozesse involviert.
Im Folgenden wird skizziert, wie sowohl Input- als auch Output-orientierte Aktivitäten unter Verwendung mobiler Technologien aus fremdsprach-erwerbstheoretischer Sicht verortet werden können. Aufgrund der deutlich höheren Relevanz eher rezeptiver Aktivitäten für Schüler*innen, die in der unter 2. vorgestellten Forschung sichtbar wurde, liegt der Fokus entsprechend auf dem FSE durch authentischen Input.
1.2 Mobile Technologien als Träger bzw. Medium authentischen Inputs: das i + 1
Dass solch authentischer Sprachinput, wie er oben beschrieben wurde, für Fremdsprachenlerner*innen in seiner Bewältigung herausfordernd ist, steht außer Frage, doch auch oder eben gerade dieser Umstand macht ihn so wertvoll für den Erwerb fremdsprachlicher Kompetenzen, wie es bspw. Krashen (1982/2009) beschreibt (vgl. Krashen 2009, S. 9), auch wenn er dies nicht vor dem Hintergrund genuinen Inputs tut: Seiner Input-Hypothese zufolge findet Spracherwerb besonders dann statt, wenn Lernende sprachlichen Input verstehen, der etwas über ihrem eigentlichen Kompetenzniveau liegt. Diesen um das Unbekannte erweiterten Input fasst Krashen in der Formel i + 1, wobei Lerner*innen die noch unbekannten Strukturen aufgrund deren kontextuellen Erscheinens, mithilfe ihres Welt-wissens und durch Deutung paralinguistischer Informationen entschlüsseln können (vgl. ebd., S. 21f.). Authentischer Input aus authentischen Medien enthält in seiner natürlichen Form eine Vielfalt von Strukturen und bietet daher jedem Lerner (ob individuell oder in einer Gruppe) das für ihn individuell notwendige i+1, vorausgesetzt, der „[u]nsequenced but natural input“ (ebd., S. 68) ist ausreichend comprehensible, (vgl. ebd.) was für eine erfolgreiche Entschlüsselung zentral ist: Krashen betrachtet das Vorhandensein von ausreichend Comprehensible Input sogar als „[…] the true cause of second language acquisition“ (ebd., S. 34) (vgl. ebd.), was gleichermaßen rezeptive als auch sprachproduktive Fähigkeiten betrifft (vgl. ebd., S. 22).
Dass der Input, mit dem jugendliche Fremdsprachenlerner*innen bei der Rezeption authentischer Medien konfrontiert werden, über deren Kompetenz-niveau liegt, dürfte in den meisten Fällen zu erwarten sein. Ist er comprehensible enough, so können besonders Unterhaltungsmedien wie Games und Videos sowie Kommunikationsmedien implizite Spracherwerbs-prozesse begünstigen, die z. T. geradezu immersiven Charakters sein dürften. Bedarf es dagegen Maßnahmen durch die Rezipient*innen, um den Sprachinput zu bewältigen, so stellen mobile Technologien Hilfsmittel bereit, mit denen sie diesem zu so viel Comprehensibility verhelfen können, wie es ihren individuellen Bedürfnissen entspricht. Auf diese besonders wertvollen Features wird im nächsten Abschnitt noch eingegangen, worauf die Erkenntnisse zu den vielfältigen informellen Sprachlernbegegnungen mit dem Englischen, die Schüler*innen bei ihrer Mediennutzung machen, folgen.
1.3 Mobile Technologien als Differenzierungstools zur individuellen Bewältigung authentischen Inputs
In Zeiten, in denen schulische Lerngruppen nicht zuletzt aufgrund ihrer unterschiedlichen informellen Lerngewohnheiten bei oder durch ihre Mediennutzung immer heterogener werden, kann der Einsatz mobiler Technologien dazu beitragen, individuellen Lerner*innenbedürfnissen gerecht zu werden, nicht nur, aber auch im Sinne eben vorgestellter Theorie: Sie ermöglichen zugleich die Bereitstellung von authentischem Input sowie von Scaffolding Tools zu dessen anspruchsvoller Bewältigung. Der Zugriff auf digitale Wörterbücher, Grammatiken oder Enzyklopädien sowie Such-maschinen im Internet unterstützt Mediennutzer sowohl bei rezeptiven als auch produktiven Aktivitäten. iBooks, sind bspw. mit ein- oder zweisprachigen Wörterbüchern im Hintergrund verknüpft, sodass die Bedeutung einer unbekannten Vokabel durch Doppelklick geklärt werden kann, um sie daraufhin in einem individualisierten Vokabelheft zu speichern. Auch die Möglichkeiten des Stoppens, Zurückspulens oder der Geschwindigkeits-regulierung bei auditiven oder audio-visuellen Medien, bei denen Untertitel das Verständnis zusätzlich unterstützen können, ermöglichen eine individuelle, bedürfnis-orientierte Rezeption sowie die fokussierte Auseinandersetzung mit Inhalten und Sprache – mit jedem Smartphone lassen sich sowohl kürzere YouTube-Videos als auch längere Serien-Episoden oder Filme in jedweder Hinsicht auf die jeweiligen Needs der Konsument*innen personalisieren.
Inwiefern Kindern und Jugendlichen die im Vorangegangenen erläuterten Potenziale mobiler Technologien bei ihrer Mediennutzung nun tatsächlich zugutekommen, zeigen die im Folgenden dargestellten Ergebnisse, die zunächst in einer Online-Befragung mit bayerischen Gymnasiast*innen erhoben und dann in alters- und geschlechtsdifferenzierten Gruppen-diskussionen vertieft wurden (vgl. Uhl 2020, S. 136–151).
2. Informelle Sprachlernbegegnungen mit dem Englischen von Kindern & Jugendlichen bei der Nutzung mobiler Technologien
In Uhl (2020) habe ich Schüler*innen sowohl danach gefragt, wie sie mobile Technologien intentional einsetzen, um für die Schule oder unabhängig davon informell Englisch zu lernen, als auch nach Aktivitäten ihrer freizeitbezogenen Mediennutzung, bei denen sie auf die englische Sprache treffen und dabei inzidentell oder implizit lernen. Zudem erfolgte jeweils eine Einschätzung der Befragten zu Lerneffekten der einzelnen Aktivitäten.
2.1 Let‘s learn: Nutzung zum intentionalen informellen Englischlernen
Während der zeitgemäße Einsatz mobiler Technologien im schulischen Englischunterricht noch immer eher ein Nischenphänomen ist, nutzen Schüler*innen diese außerhalb des formalen Kontexts auf unterschiedliche Weise hoch frequent. Unabhängig von Alter und Geschlecht und häufig, ohne dass ihre Englischlehrer*innen dies überhaupt wissen, nehmen sie sowohl zur Ergänzung und Begleitung des Unterrichts, als auch unabhängig davon, ihre Smartphones zur Hand, um ihre Kompetenzen in der Fremdsprache zu schulen. 84% der Befragten (n = 463) tauschen sich mit ihren Smartphones informell über den Englischunterricht aus, v. a. schriftlich in Klassen- und Einzelchats des Messengers WhatsApp, wobei Mädchen und ältere Schüler*innen aktiver sind. Sie klären über diese Kanäle nicht nur organisatorische Fragen, sondern besprechen auch Hausaufgaben und Unterrichtsinhalte, tauschen Materialien und Links aus und lernen zusammen, gelegentlich auch über Video-Call (vgl. Uhl 2020, S. 168–171).
Der besondere Wert solcher Handlungspraktiken liegt v. a. darin, dass Lerner durch die Schaffung solcher „persönliche[r] und kontextualisierte[r] Informationskanäle[…]“ (Specht/Ebner/Löcker 2013, o. S.) sowie Kommunikationskanäle einen von der formalen Organisation unabhängigen zusätzlichen Lernraum einrichten, der das individuelle, außerschulische Lernen um eine soziale Komponente erweitert.
Besonders bedeutend ist allerdings, wie häufig Schüler*innen ihre mobilen Geräte gezielt einsetzen, um unterschiedliche Kompetenzen in der Fremdsprache zu erweitern oder zu festigen (vgl. Abb. 1):
Vor allem die Schulung rezeptiver Skills sowie der Gebrauch von Hilfsmitteln wie digitalen Wörterbüchern, Online-Übersetzern und dem Internet als Recherche-Instrument haben sich hierbei als relevante informelle Handlungspraktiken erwiesen. Dabei zeigen sich die Schüler*innen durchaus vielseitig, was die Anwendung von Lern- und Arbeitstechniken angeht (vgl. Uhl 2020, S. 172ff.).
Die bedeutendste Aktivität intentionalen Lernens ist das Üben des Hör-verstehens, die fast zwei Drittel der befragten Kinder und Jugendlichen hoch frequent – knapp die Hälfte sogar täglich bis mehrmals die Woche – ausüben. Ganz im Sinne der oben ausgeführten Anforderungen an einen optimalen Input lassen sich die Angaben der Schüler*innen zu den dabei verwendeten Medien lesen: Bei älteren sind es v. a. für diese inhaltlich interessante und relevante authentische auditive und audio-visuelle Medien wie Songs und Videos von Plattformen wie YouTube oder Streaming-Diensten. Zur Bewältigung des authentischen Inputs, so zeigen die Angaben der Schüler*innen, setzen sie dabei mehrheitlich die wertvollen Möglich-keiten des Scaffolding durch Zurückspulen oder Anhalten als Verstehensstrategien ein (vgl. ebd., S. 180–186). Zudem unterstützt das Üben mit Videos, dass der auditive Sprach-Input noch durch paralinguistische Elemente bereichert wird, was im Sinne eines Comprehensible Inputs insbesondere förderlich für Listening und Comprehension Skills ist (vgl. Pemberton/Fallahkhair/Masthoff 2004, S. 30f.). Während ältere (Mittel- und Oberstufen-) Schüler*innen deutlich häufiger authentische Medien nutzen, verwenden nur die der Unterstufe digitale Lern- und Übungsangebote auf Plattformen, wie Sofatutor oder Scoyo, und Software, die eigens für diesen Zweck gestaltet wurden, bspw. begleitend zum Lehrwerk – angesichts des Kompetenzniveaus, auf dem diese sich noch befinden, ist auch dieser Umstand ganz im Sinne eines für sie optimalen Inputs. Ihre Angaben zu den Effekten, die ihre Bemühungen hier erzielen, bestätigen deren theoretische Potenziale, besonders in den Bereichen Hörverstehen (80 %), Aussprache (76 %), Wortschatz (61 %) und Sprechen (59 %) (vgl. Uhl 2020, S. 181–184).
Auch das Üben des Lesens bzw. Leseverstehens ist eine für fast die Hälfte der Befragten relevante und als effektiv angesehene Praktik intentionalen informellen Lernens, die jeder Vierte sogar täglich bis mehrmals die Woche, knapp jeder Fünfte mehrmals im Monat ausführt. Hierzu werden ebenfalls häufiger authentische Textressourcen wie Internetseiten und E‑Books herangezogen, v. a. von älteren, wobei hier auch Schüler*innen der Mittel-stufe auf Lernsoftware zurückgreifen, was die Jüngsten wieder am häufigsten tun. Aktivitäten dieser Art schreiben die Lerner besonders Effekte in den Bereichen Wortschatz (76 %), Leseverstehen (58 %) und flüssiges Lesen (50 %) zu, auch Rechtschreibung (45 %) und Grammatik (32 %) werden genannt (vgl. ebd., S. 174–179).
Zudem beschaffen sich die Schüler*innen über ihre Smartphones Informationen unterschiedlicher Art: Die sehr große Mehrheit (90 %) macht zu Recherchezwecken im Zusammenhang mit dem Englischlernen v. a. von Suchmaschinen und darüber gefundenen Internetseiten und Videos Gebrauch, mehrheitlich sogar sehr regelmäßig: über ein Drittel mehrmals im Monat, ein Fünftel sogar täglich bis mehrmals die Woche. Zur nachhaltigen Sicherung der recherchierten Informationen dienen den Lernern gelegentlich Screenshots und handschriftliche Notizen sowie Lesezeichen und gespeicherte Links (vgl. ebd., S. 186–191).
Um unbekanntes Vokabular nachzuschlagen, konsultiert eine Zweidrittel-mehrheit der Schüler*innen, darunter kaum welche aus der Unterstufe, hochfrequent meist zweisprachige digitale Wörterbücher-Apps oder ‑Webseiten. Einsprachige Dictionaries oder solche mit Ton verwenden gelegentlich nur Oberstufenschüler*innen, Mädchen noch häufiger als Jungen. Dass die Möglichkeit, die von Native Speaker gesprochene lautliche Repräsentation eines Wortes anzuhören, insgesamt eher ungenutzt bleibt, ist bedauerlich, denn hier geht ein klarer Benefit dieser Medien verloren. Der Google-Übersetzer dagegen ist mehrheitlich bei Schüler*innen der Mittel- und besonders der Unterstufe beliebt. Beim Nachschlagen unbekannter Wörter ist es für insgesamt 44 % gängige Praxis, dies dann auch nachhaltig zu sichern, besonders durch handschriftliches Notieren (vgl. ebd., S. 191–198).
Ob mit oder ohne anschließender Sicherung: Der Umgang mit Wörterbüchern kann in vielerlei Hinsicht positive Effekte für FSE bzw. FSL bewirken: Er fördert individualisierte Vocabulary Acquisition, hilft Fremdsprachenlerner*innen beim Verstehen von sprachlich über deren Niveau liegendem Input und ermöglicht ihnen die selbständige, an ihren individuellen Bedürfnissen ausgerichtete rezeptive und produktive Auseinandersetzung mit der FS.
Hilfsmittel, deren mehrheitliche und z. T. häufig stattfindende Verwendung vielen Lehrer*innen erfahrungsgemäß nicht zu sehr gefallen dürfte, sind Übersetzungs-dienste, denn hier drängt sich – verständlicherweise – die Frage auf, ob diese wirklich „nur“ als Hilfsmittel eingesetzt werden oder gar eigene Denkprozesse ersetzen: Dienen sie dem Scaffolding, bspw. zum Überprüfen selbst verfasster Texte, dem Feedback zu selbst geleisteten Übersetzungen oder einer eher reflektierenden, analysierenden Sprachbetrachtung eines Textes, der durch Copy and Paste und Translate entstanden ist, kann deren Nutzung durchaus gewinn-bringend sein (vgl. ebd., S. 206f.). Letztgenanntes ist ein durchaus denkbares, interessantes und noch an anderer Steller weiter zu denkendes Szenario für den Einsatz dieser mittlerweile sehr guten Technologien im Englischunterricht.
Eine Aktivität, bei der Übersetzungsdienste sinnvoll eingesetzt werden können, ist die mehrheitlich ausgeübte, für ein knappes Drittel sogar häufiger gängige informelle Produktion vorwiegend schriftlicher Lern- bzw. Übungsmaterialien. Am häufigsten handelt es sich dabei um schriftliche und informierende Texte sowie Mind Maps oder Lernplakate. Auch hier werden multimediale Möglichkeiten der Produktion von Materialien, die mehrere Sinne ansprechen, weniger genutzt, es bleibt weitgehend bei Visualisierungen durch Text und Bilder. Schüler*innen aus Mittel- und Unterstufe widmen sich dabei besonders Inhalten aus den Bereichen Wortschatz und Grammatik; während Wortschatz unabhängig vom Alter wichtiger Inhalt bleibt und Materialien dazu auch von den ältesten Befragten noch mehrheitlich angefertigt werden, verliert Grammatik mit steigendem Alter an Relevanz zugunsten literarischer und landeskundlicher Inhalte. Dies lässt sich recht schlüssig durch die Inhalte des Lehrplans bzw. die Progression des Englischunterrichts erklären, wie auch die Tatsache, dass geschriebene Texte mit steigendem Alter häufiger werden – 90% der Oberstufenschüler*innen fertigen diese an – insgesamt sind diese aber für alle Stufen die mehrheitlich relevantesten. Ihre Bedeutung unterstreichen die Angaben der Befragten zu den Lerneffekten, die sie v. a. in den Bereichen schriftliche Ausdrucksfähigkeit, Wortschatz, Rechtschreibung und Grammatik wahr-nehmen, was auch damit zusammenhängen mag, dass sie hier vornehmlich Hilfsmittel nutzen, die dem Scaffolding in entsprechenden Lernbereichen dienen: Neben digitalen Wörterbüchern zur Verfeinerung des Ausdrucks sind es v. a. Textverarbeitungsprogramme, die auch die Schulung der Writing Skills begünstigen können: Sie ermöglichen dem Schreiber nicht nur die Rechtschreibfehlererkennung, sondern können auch als gewinnbringend im Sinne eines prozessorientierten, konzeptionellen Schreibens betrachtet werden, bei dem geschrieben, geändert, gelöscht und umgestellt wird. Bei ca. einem Viertel aller Altersklassen, mehr noch bei den ältesten, kommt nicht zu unterschätzendes soziales Scaffolding durch Kollaboration oder Kooperation hinzu, denn diese nutzen die Fähigkeiten der Technologien zum vernetzten Lernen bzw. Arbeiten und gestalten die Materialien auch gemeinsam; geteilt werden diese v. a. von Oberstufenschüler*innen (vgl. ebd., S. 216–229).
Was das Lernen und Wiederholen von Vokabeln (vgl. ebd., S. 199–203) sowie das Üben von Grammatik (vgl. ebd., S. 211–215) oder das Training der Aussprache (vgl. ebd., S. 204ff.) mit mobilen Technologien betrifft, so sind dies keine mehrheitlich gängigen Praktiken: Jeweils ca. ein Viertel bis ein Drittel der Schüler*innen, vorwiegend aus Unter- und Mittelstufe, lernen häufiger so, Erstgenannte eher mit Lernsoftware bzw. Apps, die Aussprache wieder am häufigsten mit Videos. Gerade was die vielfältigen Möglichkeiten der Visualisierung von Wortschatz beim Vokabellernen betrifft, werden von den Befragten auch hier die Potenziale (noch) nicht erkannt – womöglich, weil sie noch nicht darauf hingewiesen wurden bzw. auch ihre Lehrkräfte sie (noch) nicht kennen.
Dass Schüler*innen die sowieso fest in ihren Alltag integrierten Medien wie Smartphones und das Internet auch zum informellen Lernen nutzen, ist so naheliegend wie natürlich, nicht nur vor dem Hintergrund der Tatsache, dass dieses generell als eng verbunden mit alltäglicher Mediennutzung gilt (vgl. Pachler/Cook/Bachmair 2010, S. 2); und dass diese, wenn sie rein freizeitbezogen ist und kein Lernen intendiert, immer häufiger sowieso auf Englisch stattfindet, ist auch kein Nischenphänomen der „Zockerszene“ mehr, sondern z. T., wie in den Gruppendiskussionen deutlich wurde, ganz normal, da die jungen Medien-nutzer*innen die Fremdsprache ihrer Muttersprache aus unterschiedlichen Gründen bewusst oder unbewusst vorziehen. So kommt es im medialen Alltag von Schüler*innen sehr häufig auch zu ganz natürlichen Sprachlernbegegnungen mit dem Englischen, bei denen sie inzidentell und/oder implizit bzw. immersiv – und ihrer Ansicht nach z. T. sogar besser bzw. mehr – lernen. Bei welchen Aktivitäten dies nun der Fall ist, wird im nächsten Abschnitt erläutert.
2.2 Let‘s play! Inzidentelle & implizite Sprachlernbegegnungen bei der freizeitbezogenen Mediennutzung
Die Begegnungen mit der englischen Fremdsprache, bei denen besonders Schüler*innen ab der Mittelstufe mal mehr und mal weniger bewusst, oft auch gänzlich unbewusst und damit implizit lernen (vgl. Uhl 2020, S. 296ff.), sind vielfältig und finden z. T. häufig statt. Interessant ist dabei, dass bei vielen Aktivitäten, die zunächst eigentlich gar kein Lernen intendieren, sehr häufig eine solche Intention entstehen kann: Bei diesen Momenten informellen Lernens handelt es sich um inzidentelle Sprachlernbegegnungen, bei denen die Aufmerksamkeit der jungen Mediennutzer nicht mehr nur der Aktivität selbst gilt, sondern diese auf sprachliche Aspekte gesteuert wird. Dies geschieht am häufigsten aus der Intention heraus, etwas besser (oder überhaupt) und aus dem gegebenen Kontext verstehen zu wollen, z. B. wenn sie ein Video oder einen Hörtext ein Stück zurückspulen, um Gesagtes noch einmal anhören zu können. Ein solches Verhalten stellt eine – wie oben beschrieben – zentrale Verstehensstrategie dar, die eine selbstgesteuerte Rezeption des für den FSE so zentralen comprehensible input ermöglicht. Die Schüler*innen bestätigen diesbezüglich, dass bei solchen Aktivitäten vor allem ihre rezeptiven Fähigkeiten geschult, aber auch ihre Wortschatzkenntnisse erweitert würden. Letzteres profitiere v. a. einer stärker dem expliziten Lernen entsprechenden Strategie, dem Nachschlagen von Wortschatz, das häufig aus einem echten Lerninteresse resultiert, wenn Schüler*innen wissen möchten, was ein bestimmtes Wort heißt, das sich nicht aus dem Kontext erschließen lässt (vgl. Uhl 2020, S. 283ff.; S. 304–307).
Was die insgesamt etwas weniger häufig auftretenden, gänzlich impliziten Sprachlernbegegnungen bei der Mediennutzung betrifft, die sowohl in ihrem Prozess, als auch in ihrem Lernresultat unbewusst bleiben, so stellte sich heraus, dass sich deren Lerneffekte überwiegend in impliziten sprach-produktiven Fähigkeiten manifestieren, die auch Wortschatz und Grammatik miteinschließen (Vgl. ebd., S. 302f.; S. 316f.). Die bedeutendsten Aktivitäten der freizeitbezogenen Nutzung, bei denen ein solches Lernen geschieht, werden nun vorgestellt.
Zunächst ist die – bei mehr als die Hälfte der Befragten sogar täglich bis mehrmals wöchentlich stattfindende – Nutzung von Online-Diensten, Software, Apps o. Ä., die von Haus aus nur die englische Sprache nutzen, mehrheitlich fest im Alltag der Schüler*innen verankert. Die Schüler*innen schätzen ihren alltäglichen Umgang mit diesen Anwendungen – z. B. Musik- und Video-Streaming-Plattformen oder Online-Games – als sehr effektiv ein; dass dieser auch tatsächlich Lernerfolge nach sich ziehen dürfte, mag nicht zuletzt in ihrer intrinsischen Motivation begründet liegen, den jeweiligen Input zu verstehen, allein schon, um die Medien nutzen zu können (vgl. ebd., S. 230ff.).
Am häufigsten und facettenreichsten kommt es allerdings bei der Rezeption englischsprachiger Medien, durch die User den für FSE so bedeutenden authentischen Input erhalten, zu Sprachlernbegegnungen. Das untenstehende Diagramm (vgl. Abb. 2) zeigt, noch ohne einzelne Medien zu differenzieren, dass fast drei Viertel der Befragten täglich bis mehrmals wöchentlich Medien in der Fremdsprache rezipieren: (Vgl. ebd., S. 233ff.)
Dass die Schüler*innen diese auch mehrheitlich teilen, dürfte wiederum dazu beitragen, dass auch deren soziales Umfeld noch häufiger solche Sprachlern-begegnungen erfährt (vgl. ebd.). Zudem kann das Teilen der Medien zu der unter 1.1 beschriebenen veränderten Rolle des Produsers oder Prosumers und damit zur Kreation User- bzw. Learner-generated Content und Contexts führen, was allerdings nicht Gegenstand der Untersuchung war.
Von allen Medien am höchsten im Kurs stehen Videos, deren Rezeption sehr häufig erfolgt (bei 55 % täglich bis mehrmals die Woche und 22 % wöchentlich bis mehrmals im Monat) und die als äußerst effektiv eingeschätzt wird (vgl. Abb. 3):
In den Bereichen Hörverstehen und Aussprache schreiben die Schüler*innen dem freizeitorientierten Ansehen von Videos annähernd starke Effekte zu wie dem intendierten Üben des Hörverstehens, beim Wortschatz sogar stärkere. Die besonders starke intrinsische Motivation der Rezipient*innen, dem Inhalt eines Videos, z. B. einer spannenden Handlung, zu folgen, kann zu einem regelrechten Eintauchen in dieselbe führen, und somit auch in die Sprache, über die diese vermittelt wird – die Gespräche mit den Teilnehmer*innen der Gruppendiskussionen suggerieren solche immersive Lernprozesse. Die Präsenz zahlreicher paralinguistischer Faktoren wie Handlung, Intonation und Körpersprache, die den Prozess des Dekodierens sprachlicher Äußerungen unterstützen (vgl. Böttger 2016, S. 135) und so den Input (more) comprehensible machen, dürfte ein solches Eintauchen enorm begünstigen. Häufig trägt aber auch der Einsatz von Verstehensstrategien wie dem Anhalten oder Zurückspulen sowie dem Aktivieren des englischen Untertitels dazu bei, den oft flüchtigen Sprachinput more comprehensible zu machen; im Zusammenhang mit diesen Handlungspraktiken bei der Rezeption wirken implizite mit inzidentellen Sprachlernprozessen zusammen (vgl. Uhl 2020, S. 240–244).
Ähnliche Strategien nutzen Schüler*innen auch beim Hören von Songs, der zweihäufigsten Aktivität, bei der es zu inzidentellen und impliziten Sprachlernbegegnungen kommt; und dieses wird ebenfalls als annähernd bzw. zum Teil sogar noch effektiver betrachtet als das intentionale Üben dieses Skills (vgl. ebd., S. 245–250).
Während bereits die beiden im Vorangegangen beschriebenen Aktivitäten in Sachen Lernerfolg dem intentionalen Lernen Konkurrenz machen, so schafft es das Lesen englischer Texte – meist Songtexte, Social-Network- und unterschiedliche, überwiegend unterhaltende Webseiten – das gezielte Üben des Lesens und Leseverstehens diesbezüglich vollends in den Schatten zu stellen: In vier Bereichen (Wortschatz, Leseverstehen, flüssiges Lesen und Rechtschreibung) schreiben die Schüler*innen dem freizeitbezogenen Lesen eine deutlich höhere Effektivität zu (vgl. ebd., S. 235–239).
Je älter die Jugendlichen sind, umso häufiger öffnet das Spielen von Video-Spielen Räume für informelle Sprachlernbegegnungen, in denen Sprach-gebrauch situativ, sinnstiftend und unmittelbar an das aktive Handeln der Spieler*innen angebunden ist. Diese Faktoren begünstigen implizites und immersives Lernen in ähnlicher Weise, wie es oben bei der Videorezeption beschrieben wurde. Dafür, dass derartige Lernprozesse beim Spielen noch sehr viel häufiger stattfinden, spricht u. a., dass die Befragten angaben, kaum auf Techniken oder Hilfsmittel zur Bewältigung des sprachlichen Inputs zurückzugreifen. Diesem begegnen sie dabei meist in Form von geschriebener Sprache, wobei die Menü- bzw. Spielsprache Haupt-Input-Quelle ist. Zwei Drittel der Jungen werden auch mit gesprochener Sprache konfrontiert, was doppelt so häufig ist wie bei Mädchen und sehr wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass Jungen deutlich häufiger auch mündliche Unterhal-tungen mit Mitspielern führen, bspw. im Multiplayer-Modus. Wenn Unter- und Mittelstufenschüler*innen beim Fortnite Spielen gemeinsam Türme bauen oder Verteidigungstaktiken planen, müssen sie ebenso wie ältere, z. B. bei Global Games wie World of Warcraft oder Counterstrike, kooperativ Aufgaben erledigen, Probleme lösen oder Strategien diskutieren; dabei entsteht ein Austausch, der nicht nur notwendig ist, um im Spiel voranzuschreiten, sondern auch intrinsisch motiviert. Womöglich auch aufgrund ihrer variantenreicheren Sprachlernbegegnungen nehmen Jungen in sämtlichen Kategorien sehr viel häufiger Lernerfolge wahr; besonders auffällig ist dies in den Bereichen Hörverstehen, Aussprache und Sprechen, was sich sehr wahrscheinlich auf die bei ihnen deutlich häufiger stattfindenden mündlichen Konversationen zurück-führen lässt (vgl. ebd., S. 250–256).
Englische Konversationen mit Natives und Non-Natives, so stellte sich heraus, werden generell v. a. schriftlich geführt, über Messenger, Social-Media-Apps und vermehrt bei Jungen auch in Chatrooms oder anderen Online-Communities, von ca. einem Drittel der Befragten auch häufiger (vgl. ebd., S. 258–263). Kommunikativer Sprachgebrauch in einem solch authentischen, persönlich-bedeutsamen sozialen Kontext gilt nicht nur unter den Schüler*innen als eine der effektivsten Aktivitäten informellen Lernens (vgl. ebd., S. 265–268): „Sprachen-lernen ist […] Beziehungslernen“ (Böttger 2016, S. 155), wobei ihren Angaben nach – vor allem in impliziten Lernprozessen –sowohl rezeptive als auch produktive Skills stark gefördert werden.
Letztgenannte benötigt eine Mehrheit der Befragten, wenn diese – wenn auch seltener– selbst produktiv werden und Medien unter Verwendung der englischen Sprache kreieren. Bei diesen handelt es sich hauptsächlich um schriftliche informative und unterhaltende Texte (z. B. Fan-Fiction) sowie Text-Bild-Kombinationen (z. B. Memes), Comics, Lieder und Gedichte; ältere Schüler*innen schreiben auch gelegentlich Beiträge in eigenen Blogs oder Internetseiten, während jüngere häufiger multimodale Formate wie Videos produzieren.
Bei der sprachlichen Gestaltung dieser Medien, die sie auch mit anderen erstellen oder teilen, geben besonders digitale Wörterbücher sowie Autokorrektur-Funktionen Scaffolding. Dass diese Hilfsmittel genutzt werden, dürfte auch damit im Zusammenhang stehen, dass die Befragten Aktivitäten dieser Art als insgesamt effektivste für eine Schulung von Skills in den Bereichen Schreiben, Rechtschreibung und Grammatik einschätzen (vgl. Uhl 2020, S. 268–279).
Vor dem Hintergrund der im Vorangegangenen dargestellten informellen Handlungspraktiken drängt sich – nicht nur Fremdsprachendidaktiker*innen, sondern auch Schüler*innen – die Frage auf: So what about school?
3. So what about school?
Die Erkenntnisse zu den zahl- und facettenreichen informellen Sprachlern-begegnungen von Schüler*innen mit dem Englischen bestätigen nicht nur, dass viele Potenziale, die mobile Technologien für FSE bzw. FSL bergen, bereits in deren Lernwelt Alltag wirken, sondern deuten auch auf wertvolles Outcome hin: Bei ihren Einschätzungen bzgl. der so erworbenen Kompetenzen machten die Befragten auch deutlich, „[…] dass [sie] daraus teilweise sogar besser lernen als im Unterricht“ (ebd., S. 373) und sie das Gelernte häufig als nützlicher, anwendbarer und auch nachhaltiger werten als jenes aus dem schulischen Englischunterricht (vgl. ebd., S. 372). Ihren sehr reflektierten Auseinandersetzungen im Zuge der Gruppendiskussionen ließen sich auch Gründe für solche Einschätzungen entnehmen: Neben der häufig zu starken Fokussierung auf formales Regelwissen im Unterricht sowie dessen Einübung durch Pattern Drill statt der Anwendung im situativen Sprachgebrauch (vgl. ebd.) sehen die Schüler*innen vor allem einen Zusammenhang damit, dass sowohl Inhalte und Ziele, als auch die verwendeten Medien und Methoden an Authentizität und somit Lebensweltbezug vermissen lassen.
Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Kluft zwischen der Lernwelt Alltag von Kindern und Jugendlichen und dem vermehrt entfremdeten Lernort Schule scheint es an der Zeit, deren informelle Handlungspraktiken und so auch die dabei zentralen Medien im formalen Kontext zu berücksichtigen. Diese können als Schnittstelle fungieren, die dazu beiträgt, den Gap zu verringern und Englischunterricht auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen – ganz abgesehen davon, dass es schlichtweg ein Versäumnis wäre, die vielen, oben bereits exemplarisch angeführten Potenziale der Technologien für die Fremdsprachendidaktik ungenutzt zu lassen.
Die Erkenntnisse zu den informellen Handlungspraktiken der Schüler*innen bieten nun v. a. folgende, noch allgemein gehaltene, in keiner Weise Vollständigkeit beanspruchende und noch weiterzudenkende methodisch-didaktische Ansatzpunkte für die Konzeption von Ansätzen bzw. Aufgaben-formaten, die zu einer Aktualisierung schulischen Englischlernens beitragen können. Besonders der Einsatz authentischer Medien – ob als Ergänzung oder gar Ersatz des Lehrwerks – sowie authentischen Sprachinputs scheint hierbei zentral- Die Potenziale authentischen Inputs hinsichtlich eines vermehrt selbstgesteuerten und das Klassenzimmer öffnenden Lernens, wurden oben bereits beschrieben, wie auch die für echte Individualisierung und Differenzierung: Im Umgang mit authentischen, möglichst noch vernetzten und nicht linearen Medien kann Lernen und Arbeiten sowohl auf inhaltliche Interessen und kompetenzbezogene Bedürfnisse abgestimmt werden, als auch unterschiedliche Lernstile und die jeweils damit verbundenen ‑strategien immer heterogener zusammengesetzter Lerngruppen berücksichtigt werden. Die Funktionen, Tools und Hilfsmittel des Medienverbunds zum selbst-gesteuerten Umgang mit authentischen Content und Sprache erschöpfen sich lange nicht in Lern- und Arbeitstechniken bei der individuellen Rezeption oder sprachlichem Scaffolding in produktiven und kreativen Szenarien. Exploratives, selbstgesteuertes, Interessen geleitetes und bedürfnisorientiertes Lernen wird durch sie erst einmal möglich; alleine die Anbindung an das World Wide Web ermächtigt Lerner*innen und auch Lehrer*innen zu sehr viel mehr Handlungs-fähigkeit, wenn sie bereits selbst eine Auswahl aus dem weitreichenden globalen Angebot authentischen Inputs treffen können.
Ein weiterer methodisch-didaktischer Ankerpunkt ist ein vermehrt produktiver bzw. produktionsorientierter Umgang mit Medien und Sprache: Gestaltungs-werkzeuge, die als Apps sowie Browser-Anwendungen bereitstehen, ermöglichen trotz einfacher, meist intuitiver Bedienung die Produktion unterschiedlicher, in ihrer Gestaltung sehr professionell anmutender Medien wie Videos, Hörtexte, Comic-Strips oder Cartoon-Videos. Solch produktive Aktivitäten, bei denen die Schulung mündlicher und schriftlicher sprach-produktiver Fähigkeiten mit der von kreativ-ästhetischen Gestaltungs-kompetenzen einhergeht, können in zahlreichen Szenarien des Fremd-sprachenunterrichts eine Rolle spielen.
Und last but not least sind die vielfältigen Möglichkeiten, die mobile Technologien für kooperatives und kollaboratives sowie soziales Lernen bieten, sehr zentrale Ankerpunkte für methodisch-didaktische Überlegungen: Die Vernetzung von Lerner*innen und Inhalten ermöglicht authentische, inhaltsbezogene Konversationen und meaningful interaction über Lernräume und ‑zeiten hinaus, bspw. über Messenger oder Soziale Medien, auch mit Natives, wodurch inter- und crosskulturelle Kontakte entstehen können, wie sie die Schüler*innen bereits im informellen Kontext pflegen. Die Plattform eTwinning.org kann für die Anbahnung solcher Kontakte ein idealer Anlaufpunkt sein, denn hier vernetzen sich bereits Klassen bzw. Schüler*innen aus über 200.000 Schulen in Europa in einer Lerngemeinschaft, um sich auszutauschen, zu kooperieren oder sich in Projekten zu engagieren.
Diese ersten, wenig elaborierten Überlegungen sollen zu einem Transfer anregen, der einer Integration informeller Handlungspraktiken durch die Entwicklung konkreter Aufgabenformate entgegenkommt, was nicht nur dem weiteren Vorhaben der Autorin dieses Beitrags, sondern auch den Wünschen unserer Schüler*innen entspricht. Denn auch, wenn deren außerschulische Mediennutzung bereits einen zentralen Beitrag zu deren fremdsprachlichen Kompetenzen leistet, so möchten auch sie nicht auf Englischunterricht verzichten, wie die folgenden Worte eines Mittelstufenschülers zeigen:
„[…] Also die Mediennutzung verbessert das Ganze, aber […] ohne Schule, ohne Englischlernen durch eine Lehrerin oder einen Lehrer, geht es nicht […].“ (Ebd., S. 376)